Neulich beim Kinderturnen…

Was macht man, wenn sein 5-jähriges Kind eine Frage stellt, die man nur ungern beantwortet? Eine Frage, die eine Person betrifft, die quasi neben einem steht und alles mithört?

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Quasselstrippe stellte mir also folgende Frage, während Trotzki und ich in einer Turnhalle auf dem Boden in albernen Turnreifen hockten und noch albernere Fingerübungen machten: „Mama, warum hat die Frau da keine Finger?“ Ich drehe mich um und suche. Ich finde. Allerdings eine Frau, die nicht nur keine Finger hat, sie hat auch keine linke Hand und ebenso keinen linken Unterarm. Ich bemerke wie ich rot werde. Die fingerlose Frau hat Quasselstrippe gehört und meine Blicke gesehen. Was jetzt tun?
„Mama, das sieht so komisch aus, warum hat die Frau keine Finger? Waruhum?“ Spätestens jetzt gibt es kein Entkommen mehr.
Ich murmele also irgendetwas vor mich hin wie „Krankheit… Geburt… oder so…“ Ich fühle mich schlecht. Nicht, weil ich keine Antwort hätte, sondern weil ich mich tatsächlich nicht traue, laut darüber zu reden. Die Frau bekommt alles mit.

„Mama, jetzt sag endlich!“

Warum habe ich eigentlich so eine neugierige Quasselstrippe? Schließlich gebe ich auf: „Ich weiß es nicht, Quasselstrippe!“ „Kannst Du sie fragen, Mama?“ Rein theoretisch schon, aber unter diesem Zeitdruck und dem kleinen zappelnden Trotzki an der Hand fallen mir keine angebrachten Formulierungen ein.
„Entschuldigung, wo ist denn Ihr Arm hingekommen?“ Kann man das so fragen? „Haben Sie schon immer keine Finger?“ oder „Mein Sohn findet, das sieht komisch aus, warum haben Sie das? Äh, ich meine, warum haben Sie das nicht?“

Nein, so geht das natürlich nicht. Also läuft es folgendermaßen: „Frag sie doch selber, wenn Du es wissen möchtest.“ Das lässt sich die kontaktfreudige Quasselstrippe nicht zweimal sagen und geht zu dieser Dame hin. „Warum hast Du keine Finger?“, fragt er völlig unverblümt. So sind sie, die Kinder. Die Frau kuckt zwar etwas überrumpelt, aber sie blickt ihm klar in die Augen und erklärt: „Das hab ich schon seit meiner Geburt. Ich war schon so im Bauch meiner Mutter, aber keiner weiß, warum das so kam.“ Quasselstrippe nickt nachdenklich und geht weiter. Ich bin näher zu den beiden aufgerückt und sage noch zu ihr: „Danke. Es hat meinen Sohn so beschäftigt… Danke…“ Die Dame nickt und die Kinderturn-Musik „Hey Pipi Langstrumpf“ läuft völlig unbeeindruckt weiter.
Mir ist das alles äußerst unangenehm, bin aber dennoch froh, dass es nicht schlimmer gelaufen ist. Zum Beispiel hätte es noch weitergehen können, und zwar so wie es dann weitergegangen ist…

„Mama, Du bist froh, dass ich schon alle Finger in Deinem Bauch hatte, oder? Oder Mama?“, fragt Quasselstrippe fordernd. Ich bemerke, dass die Dame um die es geht, schon wieder direkt hinter uns steht und alles mithören muss. Ich versuche daher möglichst natürlich so zu tun, als hätte ich meinen Sohn nicht gehört. Es ist mir peinlich. Oberpeinlich! Immer noch. Mit dem kleinen Trotzki an der Hand versuche ich im Kinderturn-Rhythmus der Antwort zu entkommen, beziehungsweise zu hopsen, wie man das halt so beim Kinderturnen macht. Trotzki stolpert mehr, als dass er läuft, weil ich im ziemlich schnellen Laufschritt unterwegs bin. Quasselstrippe quasselt aber unvermittelt weiter, weil er es halt einfach nicht lassen kann. „Mama!! Es ist doch gut, dass ich alle Finger hab, gell?“, schreit er. „Natürlich ist es gut und klar bin ich froh, dass Du alle Finger hast!“ Jetzt ist es raus, und zwar so, dass es alle gehört haben. Die Mutter ohne Finger natürlich auch.
Und es ist mir auch immer noch peinlich. Aber warum eigentlich? Im Nachhinein war es vielleicht das Beste so. Oder?

Beim nächsten Kinderturnen…
Beim nächsten Kinderturnen treffen wir die Mutter wieder und… sie grüßt uns lächelnd. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Vielleicht ist die neugierige, fordernde und kontaktfreudige Art meiner kleinen Quasselstrippe doch nicht so verkehrt gewesen. 🙂 Und als Mutter zweier Kinder weiß sie wohl selbst wie unverblümt Kinder mit manchen Themen umgehen. Ich bin jedenfalls froh, dass diese Mutter so reagiert hat und so offen mit meinem Sohn über seine sehr direkte Frage gesprochen hat. Sollte ich mir in diesem Punkt vielleicht ein Beispiel an Quasselstrippe nehmen…?

2 Kommentare


  1. // Antworten

    Bin ein begeisterter Leser dieses Blog und diesen Artikel finde ich ganz hervorragend!
    Denn er beschreibt eine Situation in der wir als Eltern einfach mal keine richtige Antwort haben und uns die Kinder mit ihrer Ehrlichkeit vormachen, wie es eigentlich geht.


    1. // Antworten

      Lieber Flo,
      vielen Dank für Deine Meinung! Ja, vielleicht sollten wir uns in manchen Dingen wirklich die Kinder als Vorbild nehmen.
      Liebe Grüße

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